Dienstag, 15. November 2016

Es gibt Hoffnung!

Hoffnung, das bedeutet für mich, festgefahrene Bilder beiseite zu legen und sie durch neue zu ersetzen. Seine Meinung über Dinge erst dann zu bilden, wenn man sie selbst gesehen, gefühlt, gehört, gerochen hat. Wenn man sie greift, statt nur begreift. Kenia stand eigentlich nie auf der Liste der Länder, die ich in meinem Leben mal gesehen haben musste. Afrika? Zu viele Kriege, zu viele Krankheiten, zu viel Kriminalität, zu viele Vorbehalte meinerseits. Vor zweieinhalb Jahren habe ich mich dann doch auf das Abenteuer Kenia eingelassen. Ich erinnere mich noch genau an den Moment, an dem ich die Flugzeugtreppe hinunterstieg und das erste Mal meinen Fuß auf afrikanischen Boden setzte. Bis heute habe ich diesen ersten Schritt keine Minute bereut. Ich erinnere mich, wie wir durch die Straßen gefahren sind und ich mir wie ein Außerirdischer vorkam, der gerade auf einer anderen Welt gelandet war. Überall Menschen. Überall Trubel. Kenia, ein Land voller Leben. Voller Bewegung. Ein Land, dass sich entwickeln, fortkommen, sein Schicksal endlich in die eigene Hand nehmen möchte – mal mit größerem, mal mit kleinerem Erfolg. Und während ich über Kenia nachdachte, kam ich auch über Deutschland ins Grübeln: Wie musste sich ein Kenianer beim Anblick unserer Städte vorkommen? Leere Straßen, geleckter Asphalt und Menschen, die sich hinter den eigenen vier Wänden verkrümeln? Nicht nur mein Afrika-, sondern auch mein Deutschlandbild fing an sich zu wandeln.

Hoffnung verspüre ich oft an Orten, die höher gelegen sind und den Blick über ein weites Land zulassen. So wie der Aussichtspunkt von dem aus ich das erste Mal das große Rift Valley gesehen habe. Es ist das längste Tal der Erde und zieht sich durch mehrere Länder Ostafrikas. Vor Jahren zogen hier noch die berühmtem Massai mit ihren Herden durch. Und bestimmt war es auch noch nicht lange her, als dort Löwen, Elefanten, Büffel und Giraffen herumstreiften. Ob das wirklich wahr ist, weiß ich nicht, aber den Gedanken fand ich irgendwie spannend.
Hoffnung, das war für mich dieser winzig kleine Punkt, der sich irgendwo da inmitten der atemberaubenden Aussicht befand: Die kleine Nipe-Tumaini-Farm. Ich weiß noch, als wir durch das steinerne Tor der Farm fuhren, das plötzlich im Nirgendwo im Buschland auftauchte und ich schmunzeln musste, dass es keine Mauer oder einen Zaun gab, in dem das Tor eingefasst war Damals bestand Nipe Tumaini eben noch aus kaum mehr als einem kleinen Feld, einer Blechhütte, ein paar Hühnern und den schulterhohen Grundmauern eines Gebäudes, das einmal das Zuhause von einem Dutzend Kindern werden sollte. Doch hier entstand etwas Größeres, das spürte man vom ersten Augenblick an. Immer wenn Benson über die Vision des Projektes sprach und darüber, was hier einmal entstehen sollte, dann sah man plötzlich mehr.
Die Kenianer zeigten uns, dass sie nicht nur träumten, sondern auch anfingen, diese Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Wie man im Vertrauen auf Gott losläuft mit dem Wissen, dass er es schon segnen wird. Damals merkte ich plötzlich, dass wir in Deutschland allzu wenig Raum für solche neue Aufbrüche haben. Hier legt sich viel Schweres auf unsere Träume und Hoffnungen: Vielleicht die Bürokratie? Das Finanzamt? Der Rationalismus, auf den wir so stolz sind? Eine gesunde Vorsicht? Umso erfrischender war es dabei zu sein, wie dieser kleine große Kenianische Traum Wirklichkeit wurde. Mit jedem grauen Stein, den wir heranschleppten und einmauerten. Mit jeder Schubkarre Zement, die wir zu Beton verarbeiteten. Mit jedem Maßband, das wir ansetzten, um zu gewährleisten, dass die Mauern auch gerade waren. Reihe für Reihe wuchs das Haus empor.

Hoffnung, dass sind für mich die Mango-, Zitronen und Orangenbäume, die wir in die fruchtbare Vulkanerde dieses Landes gesetzt haben. Dass sie in einem Land wachsen, welches keine politischen Unruhen mehr erleben wird. In einem Land, das sein Schicksal endlich in die Hand nimmt und dessen Bewohner ihre erstbeste Chance hier statt die allerletzte in Europa suchen. Hoffnung, das bedeutet wirklich Zuversicht zu haben in einem Land, das ein Problem mit Aids, zu wenig Arbeitsplätzen, Überbevölkerung, Korruption, Fremdbestimmung und einer vernachlässigten jungen Generation hat. Dass in diese Generation investiert wird, damit sie einmal gute Entscheidungen für ihr Land treffen werden, das sie von ihren Eltern erben werden. Eltern, die sie geschlagen, misshandelt und missbraucht haben. Hoffnung investiert in die, die von vornherein schon abgeschrieben wurden. Die in der Gesellschaft eigentlich nichts wert sind, weil man ihre Mäuler stopfen muss und weil es auch einfach zu viele von ihnen im Land gibt.

Hoffnung bedeutet aber auch auszuhalten, dass man eben nicht alles ändern kann, was man gerne ändern würde. Auf Gott zu vertrauen, wenn die eigenen Mittel und Möglichkeiten nur sehr begrenzt sind. Benson erzählte uns damals, dass er oft unterwegs war – und das ohne Auto. Dass er seine Familie oft alleine lassen musste, um den stundenlangen Weg zur Farm auf sich zu nehmen, um dort nach dem Rechten zu schauen. Hoffnung bedeutet eben auch – das habe ich damals von Benson gelernt – einiges auf- und abzugeben. Es bedeutet zu teilen, sich für andere zu öffnen. Die Familie zu öffnen für viele weitere Kinder. Das schöne geräumige Haus aufzugeben, in dem Benson und Eunice wohnten. Eunice sicheren Job als Lehrerin. Hoffnung, dass bedeutete zu dem damaligen Zeitpunkt auch, in der Ungewissheit zu leben, dass genug Spendengelder zusammenkommen würden, um das Wohngebäude fertigzustellen. Dass die Behörden das Kinderheim auch genehmigen – dass die ersten Kinder bald kommen und die Farm sich endlich mit Leben füllen wird – dass genügend Wasser aus der Leitung für die Felder kommen – dass der große Traum endlich Wirklichkeit werden würde.

Hoffnung, dafür stand der weiße Reiher, den ich einmal auf den Mauern des halbfertigen Gebäudes sitzen sah. In Kenia steht der Vogel für ein glückliches Leben. Hoffnung erlebte ich unter dem niedrigen Baum, der in der Mitte des Geländes stand und der uns in der Mittagszeit Schatten vor der prallen Sonne bot. Gemeinsam haben wir Deutsche dort mit Kenianern gegessen, gelacht und gesungen, bis der warme Wind unsere Lieder davontrug.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen